Ausgehend von der historischen Entwicklung des Kirchenpatronats und von den rechtlichen Voraussetzungen des Privatpatronats in Brandenburg während der NS-Zeit werden die Modalitäten des Präsentationsrechts analysiert sowie die Situation der Patrone unterschiedlicher Konfession und die Rolle von Frauen im Kirchenpatronat untersucht. Im Zentrum der Betrachtung steht die Haltung brandenburgischer Kirchenpatrone im Kirchenkampf, ausgehend vom Verband der Patrone der Evangelischen Kirchen in der Mark Brandenburg und dessen Vorsitzenden, Detlev von Arnim-Kröchlendorff. Um das Handeln einzelner Patronatsherren in ihren Gemeinden im Kirchenkampf zu verdeutlichen, werden jeweils zwei Persönlichkeiten exemplarisch herausgegriffen, und zwar solche, die deutsch-christliche Pfarrer unterstützten, die dem Konsistorium Geistliche ohne Parteinahme im Kirchenkampf präsentierten oder die sich für Pfarrer der Bekennenden Kirche einsetzten. Den Michaelsbrüdern und der Berneuchener Bewegung, denen eine Sonderrolle zukommt, ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Insgesamt zeigt sich, daß Widerstehen im kirchlichen Bereich nicht zwangsläufig mit einer Ablehnung des NS-Staates einherging, während Angehörige des brandenburgischen Adels, die dem politischen Widerstand nahe standen, nicht in allen Fällen Pfarrer der Bekennenden Kirche präsentierten. Die Untersuchung schließt mit einem Ausblick auf das Schicksal brandenburgischer Kirchenpatrone in der Zeit nach 1945.
Rezensionen
Mit dem vorliegenden Titel wird die überarbeitete Fassung einer Dissertation der Öffentlichkeit vorgelegt, die im Wintersemester 2002/03 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU Berlin angenommen worden ist. Die Profanhistorikerin Hohrmann greift die regionalgeschichtliche Kirchenkampfforschung unter einer (weitgehend) neuen Fragestellung auf. Sie nutzt eine bislang recht vernachlässigte Perspektive, indem sie eine ganz spezifische soziale Trägerschicht in den Focus rückt, die brandenburgischen Kirchenpatrone.
Die Fürsorgepflicht der Besitzer größerer Ländereien schloß seit alters her auch die Verantwortung für die rechte geistliche Verwaltung der örtlichen Pfarrstellen mit ein. Das aus dem 12. Jahrhundert herrührende Kirchenpatrozinium mag im 19. und insbesondere im 20. Jahrhundert anrüchig nach struktureller Bevormundung geschmeckt haben, hatte aber formal bis zur Jahrhundertmitte Bestand.
Die Untersuchung gliedert sich in vier Hauptteile. Zunächst werden die rechtlichen Voraussetzungen des Privatpatronats in Brandenburg beleuchtet. Entscheidend ist hierbei, daß dem Kirchenpatron u.a. auch das sogenannte Präsentationsrecht zukam, er konnte also für eine vakante Pfarrstelle einen ihm genehmen Geistlichen auswählen und seine Präferenz in aller Regel auch durchsetzen. Damit kommt den Patronen eine Schlüsselstellung für den Verlauf des Kirchenkampfes während der NS-Zeit zu.
Die jeweilige Wahrnehmung dieser Gestaltungsmöglichkeit hing natürlich zunächst von der eigenen Frömmigkeitsausprägung der Gutsbesitzer ab. Hohrmann zeigt im zweiten Hauptteil ihrer Untersuchung, daß sich die sozial homogene Gruppe der Großagrarier als kirchenpolitisch inhomogen erweist und auf die gesamte diesbezügliche Bandbreite verteilt - und zwar von den forschen Dahlemiten bis weit hinein in die Kreise der "Deutschen Christen", einschließlich des speziell brandenburgischen Sonderweges der sogenannten Berneuchener Bewegung, die sich (ähnlich dem Großteil der "Mitte") dieser als aufgezwungen empfundenen Polarisierung zu verweigern suchte. Mögen die adligen Herrschaften auch allesamt als politisch konservativ gegolten haben - eine Sympathie für die NS-Bewegung oder eine kirchenpolitische Präferenz läßt sich daraus keineswegs automatisch ableiten.
Wer den "Deutschen Christen" ablehnend gegenüberstand, der konnte dennoch begeisterter Parteigänger der NS-Bewegung, und ein rigoroser "Deutscher Christ" mußte noch lange kein Parteimitglied gewesen sein. Umgekehrt ließen viele Exponenten der "Bekennenden Kirche" buchstäblich keine Gelegenheit aus, nicht unbedingt der "Bewegung", aber dem NS-Staat ihre Ergebenheit zu bekunden; ein trauriges Kapitel. Wie verworren nun diese geistigen Frontverlaufe waren, ist der Forschung zwar nicht neu, doch speziell im Hinblick auf die soziale Trägerschicht der brandenburgischen Kirchenpatrone gilt diesen Überschneidungen zurecht ein ganzes weiteres Kapitel der vorliegenden Studie. Der vierte Hauptteil der Arbeit betrachtet Großgrundbesitzer, die den Weg in den politischen Widerstand fanden, in ihrer Eigenschaft als Kirchenpatrone. Dies schließt insofern unmittelbar an Punkt drei an, und es ist zu fragen, ob dies nicht in einem Komplex hätte zusammengefaßt werden sollen. Wenn dies nicht geschieht, dann kann die Begründung dafür nur in der Fokussierung auf die Fragestellung liegen, inwiefern die individuelle Frömmigkeitsausprägung dieser Exponenten entscheidend für ihren Weg in den Widerstand war.
Die Darstellung schließt ab mit einem Ausblick auf die Zeit nach Kriegsende 1945. 1946 wird das Privatpatronat in Brandenburg vollständig abgeschafft. Der Ausblick umschließt letztlich sogar noch die Frage, welche Entwicklungen sich für brandenburgische Adelsfamilien nach der deutschen Wiedervereinigung abzeichnen. Damit ist der Bogen weit gespannt. Wo liegt nun der spezifische Erkenntnisgewinn dieser Untersuchung?
Neu ist zunächst die gewählte Perspektive, die Fokussierung auf eine in sich homogen erscheinende Trägerschicht, der im Kirchenkampf durch ihre Entscheidungsbefugnisse maßgebliches Gewicht für den weiteren Fortgang der Auseinandersetzung zukam. Dieser Ansatz greift die Forderung Rudolf von Thaddens auf, Kirchengeschichte nicht allein auf Frömmigkeits- oder Geistesgeschichte zu reduzieren, sondern sie auch und vielleicht insbesondere als Bestandteil der Sozialgeschichte zu begreifen. Aufgegriffen wird der Gegensatz zwischen Stadt und Land, zwischen Metropole (Berlin) und abgelegener Provinz unter der Fragestellung der kirchenpolitischen Präferenz. Die ländlichen Gebiete Brandenburgs waren zwar einerseits schon ab 1928 für den Machtzuwachs der NSDAP verantwortlich, zeigten kirchenpolitisch aber eine "protestantische Resistenz". Ist das dem Einfluß der örtlichen Kirchenpatrone oder aber dem spezifisch ländlichen Milieu zuzuschreiben? Hierzu liegt bislang nur eine einzige ausführliche Untersuchung zu Bayern vor. Vergleiche mit katholischen Landgebieten zeigen auffällige Unterschiede: Im erzkatholischen Kreis Fulda kam die NSDAP noch 1932 auf nur 8,3% und noch nach 1933 erhielt der NS-Gauleiter von Hessen-Darmstadt vom Mainzer Generalvikar den Bescheid, NSDAP-Mitglieder würden von der Ausspendung der Sakramente ausgeschlossen. Das tatsächliche Problem scheint hier also sehr viel weniger der Stadt-Land-Gegensatz als vielmehr die nationalprotestantische Traditionslinie zu sein.
Hohrmann verwendet zwar eingangs noch den bislang üblichen Terminus "Kirchenkampf", verabschiedet sich dann aber von diesem tradierten Begriff und plädiert unter Verweis auf den aktuellen Forschungsstand statt dessen für das Kunstwort "Kirchenstreit". Nun wurde in der Vergangenheit tatsächlich in vielfältigem Sinne von "Kirchenkampf" gesprochen: Die Begrifflichkeit meint einmal die innerkirchlichen Flügelkämpfe zwischen Bekennender Kirche, Mitte und "Deutschen Christen", andererseits die Auseinandersetzung zwischen Kirchen und NS-Weltanschauungsstaat, ferner (und zwar auch schon frühzeitig!) den Kampf um die Deutungshoheit dieser Vorgänge nach Kriegsende 1945 (sogenannter zweiter Kirchenkampf). Und schließlich wurde die Bedrängung des (ostdeutschen) Protestantismus durch das SED-Regime, insbesondere 1952/53 und um 1958, ebenfalls mit dem Begriff "zweiter Kirchenkampf" belegt. Diese Mehrfachverwendung mag auf den ersten Blick in der Tat verwirrend wirken, was aber in der Umkehrung noch lange nicht heißen muß, nun jedem neuen Unsinn Tür und Tor zu öffnen.
Ungeachtet dessen darf die Untersuchung Lilian Hohrmanns, insbesondere von ihrer Perspektive und Fragestellung her, als gewinnbringend betrachtet werden. Es bleibt zu wünschen, daß die künftige Forschung sich der Rolle des Kirchenpatronats während des Kirchenkampfes auch in anderen deutschen Landeskirchen annimmt.
(Matthias Kluge, Chemnitz)
FORSCHUNGEN ZUR BRANDENBURGISCHEN UND PREUSSISCHEN GESCHICHTE, 16. Band 2006, Heft 2, S. 290-292